Medizinische Anerkennung
Bereits im Kleinkind- oder Grundschulalter bringen einige Kinder ihre geschlechtliche Selbstwahrnehmung verbal und/oder non-verbal zum Ausdruck. Ihr Geschlechtseintrag, der aufgrund ihrer körperlichen Merkmale zugeordnet wurde, weicht also von ihrem Geschlechtsempfinden ab. Die Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie führt in ihrer Leitlinie (Stand August 2013) „ - Störung der Geschlechtsidentität“ folgende zwei Diagnosekriterien auf, wobei diese auf Geschlechterstereotypen basieren:
1. Der Wunsch, dem anderen Geschlecht anzugehören. Dazu müssen vier der fünf unten aufgeführten Unterkriterien erfüllt sein:
- Wiederholt geäußerter Wunsch oder Beharren darauf, dem anderen Geschlecht anzugehören.
- Bevorzugtes Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts oder Nachahmung eines Erscheinungsbildes des anderen Geschlechts.
- Dringliche und andauernde Bevorzugung der gegengeschlechtlichen Rolle im Spiel oder anhaltenden Phantasien, dem anderen Geschlecht anzugehören.
- Intensiver Wunsch, an den für das andere Geschlecht typischen Spielen und Aktivitäten teilzunehmen.
- Starke Präferenz von gegengeschlechtlichen Spielkameraden.
2. Ein dauerndes Unbehagen über das eigene Geschlecht
In Erfahrungsberichten und wissenschaftliche Publikationen wird oftmals auf eine (unterschiedlich ausgeprägte) intensive Ablehnung der sichtbaren Geschlechtsmerkmale in den Mittelpunkt gestellt, Kleidungswünsche sowie Vorlieben für bestimmtes Spielzeug werden als vermeintliche Charakteristika für Transgeschlechtlichkeit herangezogen. Viele Eltern orientieren sich an den Geschlechterstereotypen, um Äusserungen und/oder Verhalten ihres Kindes einordnen zu können. Geschlechtsvariantes Verhalten und/oder Äusserungen können einen Hinweis auf Transgeschlechtlichkeit sein, müssen es aber nicht.
Medizinische Handlungsmöglichkeiten
Ändert sich die geschlechtiche Selbstwahrnehmung eines trans Kindes bis zur Pubertät nicht und leidet es unter den ersten Anzeichen der Pubertät, sollte geprüft werden, ob dem Kind durch ein vorübergenendes Anhalten der Pubertät geholfen werden kann. Die GnRHAnaloga (Pubertätsblocker) werden erst nach einer therapeutischen Begutachtung verschrieben.
In diesem Prozess sind daher folgende Berufsgruppengruppen eingebunden:
- Ein_e mit dem Thema vertraute_r Psycholog_in, Psychotherapeut_in oder Psychiater_in, die eine offizielle Diagnose stellen muss, und
- ein_e (am besten Kinder- und Jugend-) Endokrinolog_in für die Hormonbehandlung.
Die offizielle Diagnose ist neben der sachkundigen Einschätzung auch notwendig, um die Kosten für weitere Behandlungsschritte von der Krankenkasse bezahlt zu bekommen.
Die Möglichkeit, eine Pubertätsentwicklung anhalten zu können, sollte für trans Jugendliche ab den ersten Zeichen der Pubertät zugänglich sein. Dies kann den Leidensdruck erheblich vermindern und verschafft weitere Bedenkzeit.
Durch die reguläre Pubertätsentwicklung entstehen Körpermerkmale wie z.B. Brustwachstum, Absenken der Stimme, Bartwuchs. Das bedeutet oftmals einer hohe Belastung für die Jugendlichen. Sie kann zu selbstverletzendem Verhalten oder Suizidalität führen.
Das Anhalten der Pubertätsentwicklung ist reversibel (umkehrbar). Wichtig ist, dass die Jugendlichen wie auch ihre Eltern eine informierte Einwilligung abgeben, bevor Medikamente verordnet werden.
Ist die psychotherapeutische und medizinische Indikation für eine medikamentöse Behandlung gestellt, können GnRh-Analoga (Pubertätsblocker) verschrieben werden. Es gibt hierfür kein fixes Alter, das entscheidende Kriterium sind die körperlichen Veränderungen der Jugendlichen, die in verschiedene Tanner-Stadien unterteilt werden.
Während des weiteren Prozesses wird in Gesprächen und Untersuchungen geprüft, wie weit die Pubertät fortgeschritten ist. Ein Ziel ist es, zu verhindern, dass unumkehrbare körperliche Veränderungen stattfinden. Der Stimmbruch z.B. würde das Leiden eines trans Mädchens vergrößern und auch immer einen Erklärungsbedarf entstehen lassen.
Sind sich die Jugendlichen sicher, dass sie eine Geschlechtsangleichung in Anspruch nehmen möchten, besteht die Möglichkeit, mit der geschlechtsangleichenden Hormonbehandlung zu beginnen. Dafür sind Stellungnahmen von begleitenden Therapeut_innen und einer weiteren therapeutisch tätigen Person nötig. Eine weitere Voraussetzung ist der so genannte Alltagstest. Dieser beinhaltet, dass die trans Jugendlichen in der Geschlechtsolle des als passend empfundenen Geschlechts leben.