Das Selbstbestimmungsgesetz
Im Juni 2024 wurde das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften ( im Folgenden „Selbstbestimmungsgesetz“ oder „SBGG“) im Bundesgesetzblatt verkündet. Das SBGG wurde am 12.04.2024 vom Bundestag beschlossen und wird größtenteils am 01.11.2024 in Kraft treten.
Nach dem Willen des Gesetzgebers wird es mit dem SBGG für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen einfacher, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister sowie ihre Vornamen ändern zu lassen. Das SBGG löst das in wesentlichen Teilen verfassungswidrige Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 ab.
Das SBGG enthält keine Regelungen zu geschlechtsangleichenden medizinischen Maßnahmen. Das Gesetz regelt ausschließlich, unter welchen Voraussetzungen die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen im Personenstandsregister möglich ist. Für geschlechtsangleichende medizinische Maßnahmen gelten weiterhin die einschlägigen medizinischen Regelungen und Leitlinien. Auch die Frage der Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Behandlungen wird nicht im SBGG geregelt.
Im Folgenden werden die wichtigsten Regelungen des SBGG für Minderjährige zusammengefasst:
- Minderjährige bis 14 Jahre
Für Minderjährige bis 14 Jahren können die Sorgeberechtigten die Änderungserklärung gegenüber dem Standesamt abgeben. Minderjährige bis 14 Jahre können die Erklärung nicht selbst abgeben.
Die Erklärung bedarf des Einverständnisses des Kindes, wenn es das fünfte Lebensjahr vollendet hat. Die Erklärung des gesetzlichen Vertreters kann nur in Anwesenheit der minderjährigen Person beim Standesamt abgegeben werden. Bei Minderjährigen bis 14 Jahren muss der gesetzliche Vertreter zudem bei der Änderungserklärung mit einer Versicherung nach § 2 Absatz 2 SBGG erklären, dass er entsprechend beraten ist (sog. „Eigenversicherung“). Eine verpflichtende Beratung vor der Erklärung über die Änderung des Geschlechtseintrags ist im SBGG nicht vorgesehen.
- Minderjährige ab 14 bis 17 Jahre
Beschränkt geschäftsfähige Minderjährige ab einem Alter von 14 Jahren können die Änderungserklärung gegenüber dem Standesamt selbst abgeben. Sie müssen bei der Änderungserklärung mit der „Eigenversicherung“ nach § 2 Abs. 2 SBGG selbst erklären, dass sie beraten sind. In § 3 Absatz 1 Satz 3 Nr. 1 und 2 SBGG finden sich Beispiele möglicher Beratungsstellen, wie Therapeuten oder Träger der Kinder- und Jugendhilfe.
Die Wirksamkeit der Änderungserklärung ist allerdings von der Zustimmung der Sorgeberechtigten abhängig. Die Zustimmung kann durch das Familiengericht ersetzt werden; Maßstab hierfür ist das Kindeswohl.
- Einigung der Eltern
Sind beide Eltern gemeinsam sorgeberechtigt, haben sie über die Änderungserklärung im Namen des Minderjährigen bzw. über ihre Zustimmung zu einer Änderung des Geschlechtseintrags eines Minderjährigen, der bereits 14 Jahre alt ist, gemeinsam zu entscheiden. Sie müssen versuchen, sich zu einigen. Können sie sich nicht einigen, kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils diesem die alleinige Entscheidung übertragen. Maßstab ist auch hier das Kindeswohl.
- Einverständnis des Kindes
Geschlechtseintrag und Vornamen des Kindes können nach dem SBGG nicht gegen den Willen des Kindes geändert werden. Die Änderungserklärung des gesetzlichen Vertreters gegenüber dem Standesamt bedarf des Einverständnisses des Kindes, wenn es das fünfte Lebensjahr vollendet hat und kann nur in Anwesenheit der minderjährigen Person beim Standesamt abgegeben werden.
- Anmeldung und Erklärung vor dem zuständigen Standesamt
a) Anmeldung beim Standesamt (§ 4 SBGG)
Die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen ist von der erklärenden Person drei Monate vor der Erklärung nach § 2 SBGG mündlich oder schriftlich bei dem Standesamt anzumelden, bei dem die Erklärung abgegeben werden soll. Die Anmeldung wird gegenstandslos, wenn die Erklärung nicht innerhalb von sechs Monaten nach der Anmeldung abgegeben wird.
Wichtig: Die Regelung in § 4 SBGG tritt am 01.08.2024 in Kraft. Das heißt, dass die Anmeldung der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen bei den Standesämtern bereits zu diesem Zeitpunkt möglich ist und die dreimonatige Anmeldefrist auch dann schon zu laufen beginnt. Im besten Fall kann die Änderungserklärung dann bereits am 01.11.2024 bei dem Standesamt abgegeben werden. (Sofern der 01.11.2024 ein Feiertag ist, kann die Änderungserklärung - nach erfolgter Anmeldung - frühestens am 04.11.2024 vor dem Standesamt abgegeben werden.)
Wir empfehlen Euch, rechtzeitig mit dem für Euch zuständigen Standesamt Kontakt aufzunehmen, um einen Termin für die Abgabe der Änderungserklärung nach § 2 und § 3 SBGG zu vereinbaren und hierzu die erforderlichen Unterlagen (ggf. Ausweise, Geburtsurkunden, etc.) bereitzuhalten. Die Standesämter teilen in der Regel mit, welche Unterlagen sie zu dem Termin benötigen.
b) Erklärung vor dem Standesamt
Die Änderung des Geschlechtseintrags erfordert die persönliche Erklärung der Person bzw. ihres gesetzlichen Vertreters gegenüber dem Standesamt, dass die Angabe zu ihrem Geschlecht im Personenstandsregister geändert werden soll. Der Wechsel ist in die Bezeichnungen „weiblich“, „männlich“ oder „divers“ möglich Es ist auch möglich, die Angabe zu streichen, sodass bezüglich des Geschlechts kein Eintrag mehr vorhanden ist. Eine Erklärung über den Geschlechtseintrag ist auch möglich, wenn kein deutscher Personenstandseintrag vorliegt.
Mit der Änderungserklärung nach § 2 SBGG ist außerdem zu versichern, dass
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- der gewählte Geschlechtseintrag beziehungsweise die Streichung des Geschlechtseintrags der gewählten Geschlechtsidentität am besten entspricht,
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- die Tragweite der durch die Erklärung bewirkten Folgen bewusst ist.
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Mit der Erklärung sind außerdem die Vornamen zu bestimmen, die die Person zukünftig führen will und die dem gewählten Geschlechtseintrag entsprechen. Entsprechen die bisherigen Vornamen bereits dem gewählten Geschlechtseintrag, können auch diese zu den neuen Vornamen bestimmt werden.
Die Änderungserklärung kann nicht durch eine bevollmächtigte Person abgegeben werden!
Die Änderung des Geschlechtseintrags wird erst mit der Eintragung in das Personenstandsregister wirksam. Im Falle einer Ablehnung der Eintragung durch das Standesamt kann auf Antrag eines Beteiligten oder der Aufsichtsbehörde das Gericht das Standesamt anweisen, die Eintragung vorzunehmen. Das Standesamt prüft nicht, ob tatsächlich die Geschlechtsidentität von dem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister abweicht (sog. gebundene Entscheidung ohne Prüfungskompetenz).
- Keine Sperrfrist für Minderjährige
Die Sperrfrist nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SBGG gilt nicht für Minderjährige. Diese Personengruppe kann auch vor Ablauf eines Jahres eine erneute Erklärung über die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornahmen abgeben. Mit einer erneuten Erklärung kann auch eine Rückänderung zu einem früheren Geschlechtseintrag bewirkt werden. In diesem Fall führt die Person wieder die Vornamen, die sie bereits früher mit diesem Geschlechtseintrag führte.
- Offenbarungsverbot
In § 13 SBGG ist das sogenannte Offenbarungsverbot als Schutz gegen ein Zwangsouting enthalten. Die bis zur Änderung eingetragene Geschlechtsangabe und die bis zu einer Änderung eingetragenen Vornamen dürfen ohne Zustimmung der betreffenden Person nicht offenbart oder ausgeforscht werden Dies gilt nicht für amtliche Register und Informationssysteme in bestimmten Fällen. Dies gilt auch nicht, wenn besondere Gründe des öffentlichen Interesses (z.B. Personenkontrolle durch die Polizei; Versicherungsverlauf in der gesetzlichen Rentenversicherung) dies erfordern oder ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird.
Verstöße gegen das Offenbarungsverbot können gemäß § 14 SBGG als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, wenn die betroffene Person durch die Offenbarung absichtlich geschädigt wird.